Altes Brauchtum

Hubert Kersting erklärt, woher der Begriff „Hungertuch“ stammt

NORDKIRCHEN. Schmachtlappen oder Schmachtlapperie sind Ausdrücke der plattdeutschen Sprache, die für den alteingesessenen Münsterländer durchaus noch einen gängigen Begriff decken. Das Wortbild – hochdeutsch auch „Hungertuch“ – geht auf ein spätestens mittelalterliches Brauchtum der Fastenzeit zurück. Hubert Kersting, Vorsitzender des Heimatvereins, erklärt hier, warum es sich dabei handelt.

Schon in gotischer Zeit bevorzugte die abendländische Kirche das Sichtbarmachen des Geheimnisses, den freien Blick auf den Altarraum, das Zeigen des Allerheiligsten in der Monstranz, die öffentliche Zurschaustellung der Reliquien der Heiligen in den Ostensorlen (Behälter oder Gefäße mit einem Fenster).

Nur in besonderen Fällen, und dann auch nur vorübergehend, wurde der Altarraum durch einen großen Vorhang – lateinisch Velum – vor den Gläubigen verdeckt. Ein solcher besonderer Fall war die Fastenzeit, die Zeit der Passion Christi.

Darum heißt in der Kirchensprache dieses große Tuch, das während der ganzen 40 Tage den Altarraum vor den Blicken des Volkes verbarg, das „velum quadragesimale“ (Tuch der 40 Tage).

Akt der Buße

Der Sinn dieser „Fastentücher“ wurde in der Hauptsache darin gesehen, dass die durch das Fastenvelum nicht mehr mögliche direkte Teilnahme am heiligen Messopfer für die Gläubigen ein Akt der Buße sein sollte. Gleichzeitig wurde durch das Velum aber auch symbolisiert, dass sich während der Leidenszeit Christi seine Gottheit in besonderer Weise verbarg. Schließlich sah man im Fastentuch, das mit seinem Aufhängen in drastischer Weise dem Volk den Beginn des großen Fastens und Hungerns – eben darum nannte der Volksmund es bald „Hungertuch“– verdeutlichte, eine Erinnerung an den Vorhang im Tempel zu Jerusalem. Das Sehen wollen verstärkte sich. Man wollte auch in der Fastenzeit auf den Altar blicken können.

So wurden die Fastenvorhänge kleiner, oder sie wurden höher gehängt. http://ezeitung.ruhrnachrichten.de/DialogWcms/DialogWeb/ShowDoc.aspx?kLocationId=632&kPublisherID=1&eDocType=3&eLogType=8&kId=653516&eQuality=Screen

Das Capeller Hungertuch ist ganz aus westfälischem Leinen gefertigt. In der Mitte hat es als Hauptbild die Kreuzigungsgruppe, zu beiden Seiten je zwei Nebenbilder.

Kleinere Tücher

Sie wurden zu Tüchern, kleineren Tüchern – im Plattdeutschen: zu Lappen. Um ihren Sinn darzutun, wurden sie vorher im Münsterland aus schlichten weißen Leinen angefertigt und mit Bildern und Symbolen der Passion Christi geschmückt. Das Tuch erhielt seinen Platz nicht mehr vor dem Altarraum, sondern über dem Altar oder gar hinter ihm.

In einigen Kirchen wurde es so hoch unter der Kirchendecke angebracht, dass es den Blick auf die Vorgänge im Altarraum nicht mehr behinderte. Der Ausdruck „Lappen“ macht die Verkleinerung besonders deutlich.