Nordkirchen, Südkirchen, Capelle



(Artikel von ca. 1974)



Zum Amt Nordkirchen gehören die Gemeinden Nordkirchen und Südkirchen; diese Gemeinden wurden sowohl 1803 wie auch 1816 dem Kreis Lüdinghausen zugeteilt. Capelle wurde bei der Kreisabgrenzung 1803 nicht eigens genannt, weil es zur Gemeinde Werne-Kirchspiel gezählt wurde. Erst nach dem 31. Dezember 1922, als die Gemeinde Kirchspiel Werne aufgelöst und in die Stadt Werne einbezogen wurde, gehörte Capelle zum Amt Nordkirchen.

Das Amt Nordkirchen wurde bis 1928 von dein gleichen Amtmann verwaltet, der die Gemeinde Ascheber, verwaltete (Personaluinion). Am 1. Jannuar 1928 bekam das Amt Nordkirchen einen eigenen Amtmann. Die ältesten Akten stammen aus dem Jahre 1844; sie sind 1928 nach Nordkirchen herübergekommen. Aus einer Verwaltung mit Kleinstbesetzung wurde im Laufe der Zeit eine Amtsverwaltung von 5 Beamten und 16 Angestellten (neben dem Amtsdirektor); von den Angestellten sind 4 Damen teilzeitbeschäftigt (1974).

Die älteste vorliegende Aufzeichnung über Bevölkerungszahlen ist die von 1867; in diesem Jahr hatte Nordkirchen 1 562, Südkirchen 1 087, (Capelle 554) Einwohner; diese Zahlen verschieben sich nur geringfügig bis zum Jahr 1939. Mit den Flüchtlings- und Vertriebenenzügen wuchs 1946 die Einwohnerzahl in allen drei Gemeinden: Nordkirchen 2435, Südkirchen 1 866 und Capelle 1 027 Einwohner. Bis 1974 erreichte Nordkirchen die Zahl von 3 158, Südkirchen von 1 827 und Capelle von 1 465 Einwohnern.

Gewerbe und Industrie entwickelten sich im Amt Nordkirchen nicht auffallend. In Südkirchen gib es bis 1930 eine Ziegelei, an deren Stelle trat eine Molkerei mit größerem Einzugsbereich; der Nachfolgebetrieb ist seit 1970 eine Großküche, die Kantinen u. ä. beliefert. Wichtig ist seit 1924 eine Bauerliche Bezugs- und Absatzgenossenschaft, seit 1946 ein Baustoffgroßhandel und seit 1967 eine Fleischwarenfabrik. Daneben gibt es zwei Bauunternehmugen und die notwendigen Handwerksbetriebe. In Nordkirchen sind ebenfalls einige Bauunternehmungen wichtig, außerdem eine sich immer noch ausdehnende Strickwarenfabrik (seit 1929).

Beschäftigungsmöglichkeiten hatten die Nordkirchener Bürger immer im Zusammenhang mit Schloß Nordkirchen, ganz gleich, wie das Schloß genutzt wurde. Das war so zu den Zeiten der Plettenbergs, der Esterhazy und der Arenbenn Von 1924 bis 1933 war im Schloß ein Posterholungsheim, danach bis 1940 die Gauführerschule der NSDAP. Seit 1950 ist die Landesfinanzschule Nordrhein-Westfalen im Schloß Nordkirchen untergebracht. Das Land Nordrhein-Westfalen hat 1958 das Schloß und einen Teil des Parks von der Arenbergschen Verwaltung gekauft. Weitere Teile des Parks erwarb das Land in den Jahren 1971 bis 1973. Anfangs wurden in Nordkirchen 150 Finanzschüler unterrichtet. 1974 sind es 1 000 Studierende eworden. Solange im Sundern die neuen Häuser noch nicht fertig waren, wurden viele Finanzschüler in den Dörfern des Amtes Nordkirchen untergebracht. Im September 1974 konnten die neuen Bautein zwischen Dorf und Park bezogen werden. Die Umwandlun, der Schule in eine Hochschule steht

bevor. Dann wird die Beleg zahl auf 1500 bis 1800 steigen.

Ein erster Bebauungsplan ist für die Gemeinde Nordkirchen wahrscheinlich schon im Jahre 1905 aufgestellt worden, als die ganze Ortsfläche großzügig überplant 'wurde. Nach diesem Plan sind Teile des Dorfes gebaut worden. Im Jahre 1954 wurden für die Gemeinden Nordkirchen, Südkirchen und Capelle Wirtschaftspläne aufgestellt (später als Flächennutzungspläne übernommen). Ein neuer Flächennutzungsplan ist lin Oktober 1974 von den Vertretungen der drei Gemeinden beschlossen worden. Die ins einzelne gehenden Bau- und Bebauungspläne sind vom Kreisplanunpamt in Lüdinghausen für die Gemeinden des Amtes aufgestellt worden. Diese Pläne bilden die Grundlage für die Neubaugebiete in allen Gemeinden. Besonders augenfällig ist hierbei der Ausbau der Ortsdurchfahrt in Nordkirchen. Seit Herbst 1974 ist der Ausbau der Ortsdurchfahrt in Südkirchen angelaufen.

Eine zentrale Wasserversorgung erhielten die Gemeinden Nordkirchen und Südkirchen bereits im Jahre 1911, Capelle und die Bauerschaft Altendorf (Nordkirchen) konnten erst 1960/61 angeschlossen werden. Gleichlaufend mit der zentralen Wasserversorgung begann auch der Bau der Kanalisation; in Capelle wurde die Kanalisation um 1952 begonnen. Vier Kläranlagen ,wurden für die drei Gemeinden zwischen 1965 und 1972 gebaut.

Die Straßen in den amtsangehörigen Gemeinden sind wegen ihrer überörtlichen Verkehrsbedeutung fast alle vom Kreis Lüdinelhausen oder vom Landschaftsverband Westfalen-Lippe übernommen worden. Einige wenige Gemeindestraßen gibt es nur noch als Nebenstraßen. Der Wirtschaftswegebau ist in den Jahrzehnten nach dem zweiten Weltkrieg sehr gefördert worden.

Alle Schulen in den drei Gemeinden des Amtes waren Dorfschulen; Bauerschaftsschulen gab es nicht. Die Schulreform im Jahr 1968 führt zu Grundschulen in Nordkirchen, Südkirchen und Capelle sowie zur Gründung der zentralen Hauptschule in Nordkirchen (10 Klassenriume sowie 11 Kursund Fachräume). - Bis 1955 hatten Nordkirchen und Südkirchen je 5 Klassenräume, Capelle 3 Klassenräume; 1974 hat die Grundschule Nordkirchen 1 1 Klassenriume, die Grundschule Südkirchen 8 und die in Capelle 6 Klassenräume. Die Grund- und Hauptschule in den drei Gemeinden besuchen 999 Schüler; 332 Schüler besuchen weiterführende Schulen in den Nachbargemeinden.

Auch in der kirchlichen und kulturellen Entwicklung ist Neues geworden.In Nordkirchen ist zur katholischen Pfarrkirche ein evangelisches Kirchenhaus hinzugekommen. In Nordkirchen gab es früher nur eine evangelische telle. Als die Landesfinanzschule immer größer wurde, trat immer mehr die Forderung nach vorn, einen ständigen Pastor bei einer Kirche im Dorf Nordkirchen zu beheimaten. Das gelang Anfang der sechziger Jahre. Die sichtbare Präsenz der evangelischen Gemeinde hat einen neuen Ton in die christliche Gemeindearbeit in Nordkirchen hineingebracht. Durch die weitherzige Art der evangelischen Geineindeführung wurde das ökumenische Anliegen angesprochen; und es wurde auch von den Katholiken aufgenommen. Von der neuen evangelischen Gemeindeleitung wurde auch ein soziales und religiöses Seminar ins Leben gerufen, das viel Erfolg hatte. Auf Ebene der politischen Gemeinde wurde 1973 dann zusätzlich eine Volkshochschule gegründet, die stark von Dozenten der LandesfInanzschule getragen wird.

In Südkirchen war die alte Pfarrkirche Längst zu klein. 1968 wurde ein sehr gelungener Bau der kleinen spätgotischen Kirche angefügt, der als Kirchenbau mit seiner zentralen Innenordnung ein Beispiel für gute kirchliche Ergänzungsbauten darstellt.

Schließlich hat auch mit der Besitzergreifung des Schlosses durch die Landesfinanzschule das Amt Nordkirchen einen neuen Kulturakzent erhalten. Im Jahr 1965 wurde vom Amt für Kulturpflege des Kreises das erste öffentliche Konzert im Jupitersaal veranstaltet, nachdern vorher schon bei Gelegenheit kleine Konzerte für Dozenten, Schüler und Freunde der Landesfinanzsdiule in weniger öffentlicher Form veranstaltet worden waren. Im Jahre 1966 wurde ebenso vom Amt für Kulturpflege die erste Ausstellung (mit Picasso-Grafiken) im Jupitersaal gezeigt. Diese sprach zwar in erster Linie auch nur die Dozenten und Schüler der Landesfinanzschule und die Bewohner der Amtsgemeinden an. Da sich jedoch zeigte, daß - nur durch eine Zeitungsnotiz angelockt - viele Besucher von auswärts kamen, um diese Ausstellung zu sehen, wagte das Amt für Kulturpflege im Sommer 1968 eine große Ausstellung: Paula Modersohn, Otto Modersohn und andere Modersohns war das Thema. Die Ausstellung zog in vier Wochen mehr als 8 000 Besucher an.

Damit war die Linie aufgezeichnet, in der weitergegangen werden konnte. Einerseits wurde, nach dem Bau der Mensa, das Theater in Nordkirchen heimisch; ein für die Bevölkerun- und die Schüler der Landesfinanzschule anziehendes Pro-ramm füllt den großen Mensasaal bei allen Theaterveranstaltun,en. Andere, ausschließlich für die Schüler gedachte Veranstaltungen kommen hinzu: politische Vortrige, Veranstaltungen von Musik, wie sie die Jugend liebt. Andererseits wurden die Kammerkonzerte ausgebaut

(sieben im Jahr); für diese Kamnierkonzerte zeichnen Amt für Kulturpflege des Kreises und Landesfinanzschule eincinsain als Einladende. Die Auststellungen haben sich ebenfalls fortgesetzt, sind aber noch nicht zu einer gewissen Regelmäßigkeit gekommen. Das ist der Zustand, der sich von 1966-1974 entwickelt hat.