VON IHTARI ZU NORDKIRCHEN, SÜDKIRCHEN UND CAPELLE

von 800 bis ca. 1200



Für jeden Ort, für jede Stadt und jedes Dorf, ist die eigene Entstehungsgeschichte die interessanteste.Je weiter sich der Ort in der allgemeinen Geschichte zurückverfolgen läßt, desto stolzer ist der Bürger. Natürlich muß das ehrwürdige Alter bewiesen werden und das geht im allgemeinen nur durch Urkunden, d. h. Schriftstücke zumeist amtlicher Art, an deren echtem Inhalt niemand zweifeln kann. Bevor wir jedoch von der ältesten Urkunde, in der der Ort Capelle erwähnt wird, hören, wollen wir der obigen Überschrift gerecht werden.

Am Schluß des Artikels 'Urgeschichte der Gemeinde Nordkirchen bis Karl dem Großen' war die Rede von den Kriegen zwischen den Sachsen und Franken, zwischen Widukind und Karl dem Großen. Das Gebiet, das im 8. Jahrhundert die Sachsen bewohnten, reichte fast vom Rhein bis zur Elbe, von der Linie Sieg/Unstrut/Saale im Süden bis fast an die Nordsee. jedoch ließen sich die Friesen aus dem Küstenstreifen längs der Nordsee zwischen Ems und Weser nicht verdrängen. Die Sachsen wollten ja auch nicht nach Norden, sondern eher nach Süden oder noch mehr über den Rhein nach Südwesten, so daß der große Stämmeverband sich in drei Gruppen gliederte. Im Westen saßen die Westfalen, etwa zwischen dem Rhein und der Linie Hamburg/Gießen. Daran schlossen sich nach Osten die Engern an, grob kann man sagen: links und rechts der Weser; und daran nach Osten die Ostfalen, die östlich der Aller fast die Elbe mit ihren Wohnsitzen erreichten.

Als Bezeichnung der westlichen Sachsen tritt in der Geschichte nunmehr zum ersten Mal der Name Westfalen auf. Wohlverstanden, er bezeichnet zunächst nur einen Volksteil der Sachsen, aber noch kein Land.

Der Begriff "Falen" ist sehr umstritten. Einleuchtend scheint zu sein, daß er zunächst die Bewohner des flachen Landes bezeichnete, vielleicht von den Bergen rings um die münsterländische Bucht aus gesehen. Jedenfalls wird er erst mit dem Vordringen der Sachsen geprägt, die von Norden her kommend einmal bis zum Rhein nach Südwesten, zum anderen bis nach Thüringen, also nach Südosten, vorstießen. Die sächsischen Eroberer unterwarfen die zahlreichen kleinen Stämme im heutigen Westfalen. Ob der Name nun von diesen herrührt oder von den neu zugewanderten Sachsen, ist ungewiß. In den Schriften der Römer, auch aus späterer Zeit, tritt er nicht auf. Doch im Jahre 775, zur Zeit Karls des Großen also, wird ein Teil der Sachsen so bezeichnet: Mit lateinischer Wortforrn - die Schriften damals waren ja fast alle in lateinischer Sprache abgefaßt - wurden sie "Westfalahi" genannt. Entsprechend ist von den Angriis = Engern und den Oostfalahis = Ostfalen die Rede. Die Frage, woher diese Bezeichnung eines Teiles der, Bewohner germanischen Landes gekommen ist, läßt sich heute nicht mehr sicher beantworten. Die einen sagen, daß die großen Auseinandersetzungen zwischen Sachsen und Franken dazu geführt haben, das große Gebiet der angegriffenen Sachsen in drei Teile zu gliedern; denn in drei Richtungen vollzogen sich immer wieder die Angriffe der Franken: vom Niederrhein, Köln bis Xanten, her gegen die Westfalen; von Mainz her gegen die Engern,und durch Thüringen gegen die Ostfalen. Ob nun die Sachsen nach diesen Operationen der Franken ihre Heere organisierten, oder ob umgekehrt die Franken schon gegen die in drei Heeresverbänden gegliederten Sachsen zogen, läßt sich nicht mehr entscheiden. Man meint, daß die Ereignisse von außen her die Gliederung der Sachsen, das schnellere Verwachsen mit den ursprünglichen Bewohnern und Stämmen und die Entstehung des Namens Westfalen bewirkt haben. Es kann aber auch sein, daß sich bei der doch für germanische Verhältnisse damals großen Ausdehnung des Sachsenlandes von "innen" her, also aus den Lebensgewohnheiten oder auch von der Rechtsprechung her diese Einteilung ergeben hat. Erst einige Jahrhunderte später wird dann der Name Westfalen auch für das Land gebraucht.

Die langen kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen den Franken, den "Speerleuten", und den Sachsen, den "Kurzschwertleuten", endeten mit der Unterwerfung der Sachsen. Das sächsische Reich wurde gegen 804 endgültig dem Frankenreich einverleibt. Die Zeit der "Altsachsen" war beendet. Die altsächsische Gliederung wurde aber in die neue Zeit, das "Mittelalter", hinübergenommen. Da die Einteilung des Sachsenlandes in Gaue später für die Grenzziehung der kirchlichen Sprengel bedeutend war, sei kurz darauf eingegangen, und zwar für den Bereich der Westfalen.

In dieser altsächsischen Landschaft Westfalen umfaßte der Sprengel von Münster fünf Gaue, von denen der größte der Dreingau war. Sein Gebiet reichte von der Lippe als Südgrenze (zwischen Lippstadt und Lünen) in Form eines Dreiecks bis nach Greven als Spitze. Der Name bedeutet ertragreiches Land: ein ebenes, weder von Mooren noch Bergen unterbrochenes Land. Im Westen grenzten an den Dreingau drei kleinere Gaue, der Bursibant mit Rheine, der Skopingau mit Schöppingen und der Stevergau längs der Stever mit dem Mittelpunkt Coesfeld.

In den letzten Jahren der Franken-Sachsenkriege wurde die zum Teil schon weit entwickelte Christianisierung des Landes straffer organisiert. In der Hauptsache den Grenzen der Gaue folgend wurden auf sächsischein Boden zwischen 787 und 804 die kirchlichen Sprengel festgelegt. So erteilte Karl der Große im Jahre 794 dem Friesen Liudger den Missionsauftrag für das nordwestliche Westfalen. In Mimigerneford Furt bei der Siedlung des Mimo -, auf einem Hügel an der Aa errichtete Liudger ein Stift, von dem der Ort später seinen Namen erhielt. 804 wurde Liudger dann zum Bischof geweiht. Von seiner Mutterkirche ausziehend errichtete er in seinem ganzen Sprengel Taufkirchen. Er wurde zum Apostel des Münsterlandes, war entscheidend beteiligt an der Heranführung der neuen Zeit und gab auch der Folgezeit durch sein Wirken das Gepräge. Es gelang ihm, die mit Gewalt erzwungene Christlanisierung in eine Bekehrung der Herzen umzuwandeln; ihm gelang ebenso, durch Heranziehung von Priestern das Land endgültig dem Christentum zuzuführen. Erwähnt sei besonders seine Klostergründung Werden bei Essen, nicht nur weil dort seine Gebeine ruhen - er starb 809 -, sondern weil dieses Kloster für die weitere Geschichte, auch gerade Capelles, besondere Bedeutung hat.

Nun schränken wir den Raum unserer Geschichtsbetrachtung noch weiter ein. Wir greifen ein Waldgebiet im Süden des Dreingaues heraus, das im Westen an den Stevergau grenzt: das große Waldgebiet Ihtari, dessen Name im Namen Ichterloh heute noch fortbesteht.

Da dieses Waldgebiet Ihtari aber zur Pfarre Werne gehörte, muß zuvor noch etwas näher auf die kirchliche Organisation der damaligen Zeit eingegangen werden. Es waren etwa vierzig Pfarreien, die Liudger in seinem Sprengel gründete. Sie waren über dasganze Münsterland verteilt und jede etwa gleichgroß - 70.000 bis 80.000 Morgen. Zu diesen Pfarren gehörten: im Dreingau Münster, Warendorf, Beckum, Ahlen, Werne und im Stevergau u. a. Lüdinghausen. Die Pfarre Werne umfaßte den südwestlichen Zipfel des Dreingaus. Ihre Nachbargemeinden waren Ahlen, Ascheberg und Lüdinghausen. Mehrere Geschichtsforscher nehmen an, daß Liudger die Bischofswürde nicht eher übernahm, als bis er das ganze Gebiet kirchlich organisiert hatte und jede seiner 40 Pfarreien nicht nur eine Kirche hatte, sondern auch durch Zuweisung von mindestens einem Oberhof und mehereren Unterhöfen fest fundiert war. So müßte also die Pfarre Werne schon 804 bestanden haben.

Zu Werne noch ein kleines interessantes Kapitel: Kaiser Karl sah in der Christianisierung der Sachsen das beste Mittel einer endgültigen Unterwerfung. Darum ging er einmal mit strengsten Gesetzen gegen heidnische Bräuche und Mißbräuche vor; zum anderen mußten die Sachsen laut Gesetz durch Zehnten für den Unterhalt der Priester sorgen. Mit Schenkungen für die Kirche, die er den durch Kriegsrecht beschlagnahmten Gütern der besiegten Sachsen entnahm, war Karl großzügig. So wissen wir, daß Liudger in Werne wie in vielen Orten des Münsterlandes (z. B. in Ahlen, Beckum, Warendorf, Münster, Billerbeck, Lünen und Haltern) einen eigenen Haupthof hatte, von dessen Einkünften die Mission und der Unterhalt ihrer Kleriker bestritten wurde. Auch nach der offiziellen Unterwerfung wurden immer wieder aufsässige Sachsen in frankensicheren Gebieten aus dem Lande ausgesiedelt und ihre Höfe der Kirche vermacht. Im Pfarrgebiet Werne gab es interessanterweise (wie in Ihtaxi) drei Höfe, die den Namen Werne trugen. Einer gehörte später dem Bischof von Münster, einer dem Kloster in Werden und einer dem Grafen von Cappenberg. Die Beschlagnahme sächsischer Höfe und die Aussiedlung ihrer Besitzer ist darum so interessant, weil sich die Namen Wernescher Bauerschaften Bochum, Stockum, Werne und Wethmar sämtlich bei Bochum, also weiter im Süden, im längst schon für die Franken gesicherten Brokterergau, wiederfinden.

Doch zurück zur kirchlichen Organisation, die für Capelle hochinteressant, aber auch tragisch wird.

Von den vierzig Mutterkirchen als Gründungen Liudgers lösten sich mit Zunahme der Bevölkerung später immer weitere Filial- oder Tochterkirchen ab. So entstanden im Bereich der Pfarre Werne zehn Filialkirchen: Lünen (d. i. Alt-Lünen), Bork, Selm, Nord- und Südkirchen, Herbern, Bockum, Hövel, Cappenberg und, so hätte es eigentlich werden sollen, Capelle. Dabei bekamen einige unter diesen, wie Nordkirchen, Selm oder Herbern auch Gebiete von den Nachbarpfarreien Ascheberg und Lüdinghausen.

Damit sind wir nun endgültig im Waldgebiet Ihtari und können uns der Frage zuwenden, wann wurden die drei Pfarreien darin gegründet?

Wollen wir diese Frage sinnvoll erörtern, müssen wir uns noch einmal klar vor Augen halten, daß es in damaliger Zeit keine Städte und Dörfer im heutigen Sinne gab. Man konnte allenfalls von Bauerschaften sprechen. Diese bestanden meistens aus einem Haupthof oder Oberhof, zu dem eine Menge kleinerer untergeordneter Höfe gehörten. Die Bewohner unterteilten sich in Edle (Ethilingi), Freie (Frilingi) und Unfreie (Litonen). Bei letzteren denke man an die Kötter oder Heuerlinge, die mehr oder weniger von einem größeren Hof abhängig und ihnen zu Dienst verpflichtet waren.

Um den Haupthof herum lag der kultivierte Boden, darum "die Mark" als Weide, Wald oder Heide. Neben dem Oberhof entwickelte sich in den Bauerschaften des öfteren ein Schulzenhof, dessen Besitzer eine gewisse Gerichtsbarkeit oblag. Mit dem Wachsen der Bevölkerung nahmen die Bauerschaften an Zahl der Höfe wie an Umfang zu, zumal durch die Franken eine Reihe fränkischer Siedler dazukamen.

Was nun die Gründungen der Filialkirchen in diesen Bauerschaften angeht, scheint die Zeit bis zum Jahre 1000 ohne Ereignisse gewesen zu sein. Man begründet das damit, daß sich die Jahrtausendwende durch die damit verbundene Vorstellung vom Weltuntergang lähmend auf alle weitzielenden Unternehmungen legte und in diesen zweihundert Jahren praktisch an Kirchenbauten und Pfarrgründungen nichts geschah.

Als nun das Jahr 1000 glücklich überstanden war, erfaßte die Menschheit neuer Lebensmut und nun ging es lebhaft und mit Eifer an die Errichtung neuer Gotteshäuser und neuer Pfarreien. Man vergleiche damit die Zeit nach dem zweiten Weltkriege bis in unsere Tage. Schon aus dem Anfang des 11. Jahrhunderts haben wir erste offizielle Urkunden von Kirchengründungen im Kirchspiel Werne. Alle zehn Filialkirchen wurden zwischen 1000 und 1200 erbaut.

Und jetzt, jetzt muß sie kommen, jene berühmte Urkunde über die Neugründung der Pfarrei Capelle, der auch die Nachbargemeinden Süd- und Nordkirchen es verdanken, daß sie ihre Geschichte bis auf diese Zeit nachweisen können. Ich darf sie in der Übersetzung aus dem Buch von Schwieters: "Geschichte des Kreises Lüdinghausen' zitieren: Über die Gründung der Kirche zu Capelle gibt es eine interessante Urkunde aus der Zeit des Bischofs Siegfried, der in der Zeit von 1022 bis 1032 den Stuhl des heiligen Liudgerus innehatte; sie lautet in der Übersetzung (mit Weglassung des nicht hierhin Gehörenden):

"Im Namen der heiligen Dreifaltigkeit Siegfriedus, Bischof von Gottes Gnaden ... Siegfriedus, der 13. Bischof von Münster, fand in seiner Diözese eine Frau, berühmt durch Adel und Tugend, mit großen Reichtümern und Besitzungen, Reimond mit Namen, mit ihrer einzigen Tochter Vrederuna, deren Wunsch es war, neue Kirchen zu gründen, und dem Bischof zu übergeben. Mit dessen Rat und Erlaubnis erbaute sie 7 Gotteshäuser an Stätten, wo sie am meisten notwendig waren: Die erste in Farlari (Varlar), die zweite in Oppenhulisa (Appelhülsen), die dritte in Buntlagi (Bentlage), die vierte in Curithi (Coerde), die fünfte in Ihtari (Capelle), die sechste in Honthorpa (Handorf) und die siebente in Unkingthorpa (Untrup an der Lippe). Diese 7 Kirchen, vollendet mit Altären, Reliquien und Heiligen und allem dem, was die Priester bedürfen, ausgestattet, weihte der genannte Bischof, der einem solch frommen Werke nicht fern stehen wollte, und bestimmte Höfe und Bauerschaften, wie ihm gut schien, für jede Kirche, damit sie passende Orte seien, die Kranken zu besuchen, die Toten zu begraben und das zu tun, was zu Gottes Ehre und zum Heile der lebenden und verstorbenen Gläubigen gereicht." (jetzt wird im einzelnen angegeben, welche Bauerschaften zu jeder der 7 Kirchen gehören sollten.) "Diese Bauerschaften sollen zu Ihtari gehören: Von der Pfarrei Werne der Hof Ihtari selbst, die Bauerschaft Simaningthorp (Sermelingthorp später Kraspott bei Capelle), Lasingi (Losinger Feld), Westhornon (Horn), Wigeringthorp (Bauerschaft Weckendorf, die Höfe Weckendorf, Rehr, Heiniken und vielleicht noch einige, die jetzt zu Capelle gehören) aus diesen Bauerschaflen 27 Höfe. Von der Pfarrei Ihtari, die Südkirchen genannt wird, aus der Bauerschaft Ledscipi, wo Gelo, Woldahre und Aneke wohnen, 11 Höfe. Von Nordkirchen Ihtari Hathoworkingthorp (Oldendorferbauerschaft), Hildingthorp (Hickerup) und ganz Piekenbrock, von diesen Bauerschaften 25 Höfe. Von der Pfarre Ascheberg Westaringen (Westerbauerschaft) und Ostaringen (Osterbauer) und 3 Haupthöfe und der Hof des Razo und Garikingthorp (Gerkendorf bei Ichterloh, jetzt verschwunden) und Paringthorp (Pentrup in Bakenfeld mit den in der Nähe liegenden Höfen).'

Ich darf in diesem Zusammenhang Schwieters weiter zitieren:

"Die hier genannte edle Frau Reimond (oder Richmodis) und ihre Tochter Vrederuna waren aus dem Geschlechte der Grafen von Cappenberg, die 100 Jahre später ihre Burg Cappenberg in ein Kloster verwandelten. Die von dem Bischof Siegfried geplante Errichtung einer Pfarre bei der von Richmodis errichteten Kapelle zu Ichtern (Capelle) ist nicht ausgeführt, sondern Ichtern (Capelle) ist eine von Werne abhängige Filialkirche geblieben. Wäre die Pfarre mit den oben angegebenen Bauerschaften errichtet, so würde sie zu den größeren der hiesigen Gegend zählen.

Die erste Frage, die sich beim Studieren dieser Urkunde ergibt, ist natürlich nicht nur für jeden Capeller die: Warum, wenn doch alle Voraussetzungen gegeben waren, wenn selbst der Bischof die errichtete Kapelle schon geweiht hatte, warum wurde es trotzdem keine Pfarrei, und damit Capelle, eben wie die anderen Orte kirchlich selbständig? Eine Antwort darauf findet man nicht: weder eine urkundlich belegte (dann wäre ja alles klar), noch eine irgendwie begründete Vermutung. Ich persönlich bin der Meinung, daß es gar nicht so schwer ist, eine solche zu finden. Blicken wir doch nur in die Wirren und Auseinandersetzungen unserer Tage, wo es um die Zusammenlegung der drei Gemeinden des ehemaligen Waldgebietes Ihtari geht. Aus Südkirchen, aus Nordkirchen, aus Ascheberg, aus Werne etwas abzugeben - welcher Pfarrer wäre begeistert? Aus der Gemeinde Südkirchen, aus der Gemeinde Nordkirchen, aus der Gemeinde Ascheberg, aus der Gemeinde Werne auszuscheiden, der man seit eh und je angehörte - wer von den Bauern wäre begeistert? Und da Bischof Siegfried schon 1032 starb, gelang es bei seinem Nachfolger leicht -. Warum nicht gar aus wahltechnischen Gründen, um mit Worten des 20. Jahrhunderts zu sprechen, wie schon so oft vorher und nachher -, das Beschlossene und für richtig Erkannte des Vorgängers umzuwerfen. Capelle wurde keine Pfarrei, und das hat sich sicherlich auf die Gesamtentwicklung des Ortes ausgewirkt - ob zum Vorteil oder Nachteil, das bleibe dahingestellt.

Ein zweites fällt noch auf, wobei ich zugleich auf die drei Höfe im Pfarrgebiet Werne hinweisen darf. Zunächst, was bezüglich der Namen der beiden anderen Pfarren auffällt. Bei Südkirchen heißt es: Von der Pfarre Ihtari, die Südkirchen genannt wird, und bei Nordkirchen: Von Nordkirchen Ihtarl. Es erlaubt eine einfach köstliche historische Studie: ein Beispiel, was man und wie man manches aus einer solchen Urkunde herauslesen kann. Mit Hilfe eines Auszugs aus Unterlagen des Archivs zu Werne will ich das näher erläutern. Damit wäre zugleich das noch fehlende Problem der Kirchenpatrone angeschnitten.

Schwieters schreibt unter Hinweis auf die obige Urkunde, daß die beiden Pfarren Nordkirchen und Südkirchen um das Jahr 1000 gegründet wurden. "Aus dem einen Hofe, der dem Kloster Werden gehörte, und der jedenfalls schon von Ludgerus als seiner ihm so sehr am Herzen liegenden Stiftung, wo er auch begraben sein wollte, vermacht war, ist Nordkirchen entstanden." Auf dem anderen Hofe Ihtari, der dem Bischof von Münster gehörte, und den dieser im Jahre 1194 dem Kloster Nottuln überließ, wurde Südkirchen gegründet.

"Auf dem dritten Hofe Ihtari ist die Filialkirche Capelle entstanden (und das Haus Ichterloh). Das Wort Ihtari lautet später Ihteri und dann Ichtern; noch im vorigen Jahrhundert pflegte man zu sagen: 'In Ichtern zur Capelle.' Auch dieser dritte Hof war bischöfliches Eigentum, wenigstens für die uns jetzt interessierende Zeit. Nach dem Stadtarchiv zu Werne untersucht Domvikar Tibus noch weiter die Gründungsgeschichte der drei Pfarren im Gebiet Ihtarl. Von Nordkirchen heißt es, daß es in Urkunden aus dem Jahre 1184 Nordkircken, im Jahre 1246 und 1267 als Parochie (Pfarrei) Nortkerken bezeichnet wird, ebenso ist im Jahre 1283 vom Priester Henrikus, Rektor der Kirche zu Nortkerken, die Rede. Sutkerken wird als Parochia in einer Urkunde aus dem Jahre 1246 erwähnt, und ebenso erscheint im Jahre 1267 in einer Urkunde Hugo plebanus ecclesiae Sudkerken (Pfarrer der Kirche zu Südkirchen).

Zur Frage: Von wem und wann sind beide Kirchen gegründet? Dazu steht im Archiv etwa folgendes:

a) Zu Nordkirchen

Aus der Tatsache, daß der Hof Nordkirchen zwar in späterer Zeit an die Herren von Morrien ging, das Patronat der Kirche aber dem Kloster Werden in anfänglicher Zeit verblieb, geht hervor, daß die Gründung der Pfarrei Nordkirchen auf Initiative des Klosters Werden zurückgeht. Das älteste Heberegister der Abtei Werden - ein Verzeichnis der Abgaben der einzelnen Höfe an das Kloster - kennt noch nicht die Namen Northkirke und Suthkirike. Daraus ist zu folgern, daß es zu der Zeit noch keine selbständigen Kirchen mit Pfarreien in beiden Orten gab. Der Hof der Abtei wird noch einfach mit dem Namen Ihtari bezeichnet. Da aber audi der zum Kloster Werden gehörige Hof zum Bistum Münster gehörte, ergibt sich folgender mögliche Zusammenhang. Der Vorgänger des Bischofs Siegfried, Frietherik I., war vor Antritt seines bischöflichen Amtes Domprobst zu Magdeburg. Dort ruht seit dem Jahre 961 der Leib des heiligen Mauritius, des Führers der thebäischen Legion, die noch unter Kaiser Konstantin für christlichen Glauben ihr Leben gelassen hatte. Seine Reliquien ruhten zunächst in Köln und sollten dann in Magdeburg, einem neuen deutschen Bischofssitz, ihre endgültige Ruhestätte finden. Unter Teilnahme des Kaisers Otto, eines päpstlichen Legaten und zahlreicher Bischöfe wurden die Gebeine nach Magdeburg überführt. Seit diesem Jahre 961 ist die Verehrung des heiligen Mauritius in Sachsen, besonders in Westfalen, allgemein geworden. Da nun auch Bischof Siegfried Abt eines Klosters in der Nähe Magdeburgs war, nämlich des Klosters Bergen, ist die Wahl des heiligen Mauritius für die Pfarrkirche in Nordkirchen durchaus verständlich. Man kann andererseits aus dieser Wahl folgern, daß die Pfarre Nordkirchen nicht vor dem Jahre 961 und nicht nach dem Jahre 1032 gegründet wurde.

b) zu Südkirchen

In der Gründungsurkunde der Pfarrei Capelle bekommt Südkirchen noch den Namen: "lhtari, quae Suthkirike vokatur", d. h. Ihtari, das Südkirchen genannt wird. Dieser Hof Ihtari ist für die nächste Zeit im Besitz des Bischofs von Münster geblieben. Daß der heilige Pankratius dort Kirchenpatron wurde, findet bei Tibus folgende Deutung: Stiftung und Gründung der Pfarrei gingen in diesem Falle nicht von einem Kloster, sondern vom Bischof selbst aus. Nun besaß von alters her von den Franken zu den Sachsen - Tibus sieht es aus späterer Zeit, als schon Handelsbeziehungen nach Westen hin zu den flandrischen Städten bestanden - unser Westfalenland enge Verbindung zu den blühenden Gebieten Flanderns mit den Städten Gent, Brügge und anderen. Lassen sich diese Beziehungen auch erst im 12. Jahrhundert nachweisen, so ist doch anzunehmen, daß solche schon vorher bestanden haben. Es ist historischerwiesen, daß die Gebeine des heiligen Pankratius im Jahre 985 von Rom nach Gent, der Hauptstadt Ostflanderns, überführt worden sind. Ähnlich wie bei Nordkirchen läßt sich aus diesen Begebenheiten schließen, daß Südkirchen als Pfarrei (wie die anderen Pankratius-Kirchen in Vorhelm, Hövel, Rinkerode, Buldern als Filialkirchen) nicht vor 985, aber auch nicht nach 1032 gegründet worden ist.

c) Zu Capelle

In den mir zugänglichen Unterlagen und Büchern über die alte Geschichte unserer Heimat findet sich über Dionysius, den Kirchenpatron der Kirche zu Capelle, nichts. Nur Pfarrer Becker erwähnt, daß er ein Heiliger aus dem ersten christlichen Jahrhundert ist. Es gibt mehrere Heilige dieses Namens, alle aus frühchristlicher Zeit. Tibus meint, es handle sich um einen Dionysius, der angeblich ein Schüler des Paulus war und später als Bischof von Athen wirkte. Andere denken an Dionysius von Paris, dessen Verehrung seit dem 9. Jahrhundert im Abendland immer mehr zunahm.



Oberstudienrat

Hubert Becker, Wadersloh



Aus der Festzeitschrift zum 50 jährigen Bestehen des MGV Cäcilia Capelle im Jahre 1969, mit Genehmigung des Herausgebers Werner Steinhoff, Capelle.